Feinstaub aus Dieselmotoren ist in den europäischen Tageszeitungen zum Dauerthema geworden, nachdem in mehreren deutschen Städten die maximal zulässige jährliche Belastung gemäss EU-Richtlinien schon im April 2005 erreicht worden ist.
Sturm im Wasserglas oder Götterdämmerung? Letzten Herbst wurde die 9. medizinische Welttagung zum Feinstaub als Gesundheitsproblem abgehalten. Neu ist das Problem also nicht. Auch die Alternativen sind bekannt und erprobt: Erd- und Biogas statt Dieselöl.
Erd- und Biogas werden auch in Europa als nachhaltigere Alternative diskutiert – mit Betonung auf diskutiert. Nachhaltiger ist Erdgas, weil statt nachgeschalteten Filter ein sauberer Treibstoff verwendet wird, der bei der Verbrennung keinen Feinstaub und markant weniger CO2 produziert. Die Zahl der Erdgasfahrzeuge hat sich in der Schweiz innert Jahresfrist von 730 im Jahr 2003 auf 1’250 im Jahr 2004 erhöht. Dies entspricht weniger als einem Promille der Schweizer Fahrzeugflotte; die gleiche Situation besteht in der EU. Als Gründe gegen Erdgasautos werden die höheren Anschaffungskosten, das mangelnde Tankstellennetz und Zweifel an ihrer Sicherheit angeführt: viele Parkhäuser in Europa sind mit einem Verbot für Gasfahrzeuge belegt (LPG in rotem Kreis, liquified petroleum gas).
Ausrede oder Witz?
Erdgas-PKW sind ein Nabelschau-, nicht ein Kosten- oder Technologie-Problem! In Pakistan fahren über 500'000 Erdgasfahrzeuge, vorwiegend PKW, und auch in anderen ‚Drittwelt-Ländern’ wie Argentinien und Brasilien sind saubere Erdgasfahrzeuge normal. In Dublin und Tokio fahren Taxis seit Jahrzehnten mit flüssigem Erdgas, aus Gründen der Luftreinhaltung. In Delhi, der indischen Hauptstadt, fahren seit Ende 2002 alle Busse und alle drei- und vierrädrigen Taxis mit CNG, compressed natural gas – Erdgas unter Druck. Selbst die weissen ‚Ambassador’, die englischen Austin, welche Amtstellen und Touristen seit den 1960er Jahren als Luxusfahrzeuge dienen, sind bimodal: in Delhi fahren sie mit Erdgas, ausserhalb Delhis, wo Erdgastankstellen fehlen, mit Benzin. Und an ihrem Lebensende werden sie nicht verschrottet, sondern in der Fabrik in Kalkutta zerlegt, aufgearbeitet, techologisch hochgerüstet und wieder in den Markt gebracht – die perfekte Kreislaufwirtschaft. In Indien gibt es sie seit Jahrzehnten, in Europa reden wir davon!
Was sind die Gründe für das ‚Wunder von Delhi’?
Die indische Verfassung von 1950 enthält das Prinzip der ‚public interest litigation’, oder Prozessführung im öffentlichen Interesse. Dieses erlaubt es jedem Inder, sich mit einer Beschwerde direkt an das Bundesgericht, den Supreme Court of India, zu wenden.
1995 schrieb ein Anwalt aus Delhi dem Bundesgericht einen Brief, in dem er den Zusammenhang zwischen den Gesundheitsproblemen in Delhi und der Luftverschmutzung durch Dieselmotoren beschrieb. 1996 veröffentlichte CSE, eine private Umweltorganisation Indiens, den ersten Bericht über die Luftverschmutzung in indischen Städten, in welchem der Zusammenhang zwischen Dieselmotoren, Dieselölqualität und der schlechten Wartung der Motoren aufgezeigt wurde.
1998, drei Jahre nach dem Brief des Anwalts und als Antwort darauf, erliess der Supreme Court eine Direktive, welche der Regierung von Delhi (national Capital Region of Delhi) eine Frist bis April 2001 einräumte, um alle Busse, Bajaj-Dreiradtaxis und PKW-Taxis auf CNG umzurüsten. Zusätzlich legte die Direktive fest, dass im gleichen Zeitpunkt 70 CNG-Tankstellen in Delhi vorhanden sein müssten, und schlug Subventionen für die Umrüstung der Fahrzeugflotten vor.
Aber die Regierung Delhis bevorzugte Dieselfahrzeuge, und die Fahrzeugindustrie ist grundsätzlich gegen CNG, um ihre Massenproduktion nicht zu gefährden. So wurden im Jahr 2000 in Delhi noch 6'000 neue Dieselbusse zugelassen, trotz dem Gerichtsentscheid von 1998. Zusätzlich gaben Stadtregierung und Industrie eine Vielzahl von Studien in Auftrag, um die Gefahren von CNG und die Fortschritte des Dieselmotors zu belegen, und betrieben ein aufwändiges Lobbying gegen die Umstellung auf CNG - in dieser Beziehung ist Indien nicht verschieden von Europa.
Aber dieses Vorgehen missachtete die Tatsache, dass ein Entscheid des höchsten Gerichtes nicht verhandelbar ist! Im April 2002 veröffentlichte der Supreme Court eine zweite Direktive in dieser Sache, welche die Regierung dafür büsste, dass sie die Zeit des höchsten Gerichtes verschwendete. Zusätzlich wurden die Dieselfahrzeuge in Delhi mit einer Busse von 1'000 Rupie (20€/30 Franken) pro Tag belegt.
Acht Monate später, am 1. Dezember 2002, war der letzte Dieselbus aus Delhi verschwunden, und ein Regierungsprogramm zur Förderung des öffentlichen Verkehrs – und für eine bessere Gesundheit – eingeleitet. Anfang 2005 umfasste die Flotte von CNG-Fahrzeugen in Delhi rund 100'000 Fahrzeuge: 10'300 Busse, 5'000 Minibusse, 55'000 dreirädrige Taxis, 10'000 Taxis und 10'000 PKW. Zudem müssen alle neuen Dreirad-Lieferwagen in Delhi mit CNG betrieben werden. Von den Bussen sind 3'000 im Besitz der öffentlichen Delhi Transport Corporation, die anderen gehören privaten Transportunternehmen. Und alle tragen eine grosse Aufschrift – Delhi, die sauberste Busflotte der Welt dank CNG! Der Stolz des Erfolgreichen.
Wie geht es weiter?
Im Jahr 2004 erhielten acht weitere Städte entlang der bestehenden indischen Erdgas-Pipeline eine ‚order of the Supreme Court’, ihre Bussflotten von Diesel auf Erdgas umzurüsten. CNG Busse werden vom Bundesgericht als Hebelarm angesehen, um ein CNG-Tankstellennetz aufzubauen. Zudem ist eine neue Erdgas-Pipeline im Bau, welche die Erdgasfelder von Gujarat mit den Grossstädten der Westküste verbinden wird. Neue Erdgasfelder werden erschlossen, und in der Zwischenzeit wird Erdgas auch per Schiff importiert.
Indien als Weltmeister einer nachhaltigen integrierten Technologie (ohne nachgeschaltete Filter und Katalysatoren)? Indien als Beispiel für eine andere moderne ‚governance’? Auf jeden Fall könnte Europa von Ländern wie Indien lernen.
Und die europäische Autoindustrie? Die indischen Hersteller Ambassador und Maruti-Suzuki sind die einzigen Anbieter von CNG-Automobilen in Indien. Meine Bemerkung, dass mehrere internationale Autohersteller in Europa CNG-Fahrzeuge anbieten, wurde in Indien mit Staunen zur Kenntnis genommen.
Und das Resultat? Der Himmel in Delhi ist blau, die Luft ist sauber, und der Lärmpegel des Verkehrs tief – konkrete Resultate der Verwendung von CNG, welche im Vergleich mit anderen indischen Städten wie Mumbay direkt erlebbar sind!
Und die Sicherheit? Am Anfang gab es Qualitätsprobleme durch die mangelnde Vertrautheit mit der neuen Technik. Eine angepasste Ausbildung der Mechaniker, gewisse technische Verbesserungen, wie der Einbau von Überdruckventilen, und wenige neue Industrienormen haben das Problem der Sicherheit von CNG-Fahrzeugen in Indien gelöst – Vorsprung durch Technik!
Nachtrag: die Bedenkenträger sind in Europa, die Erfahrungen mit der fortschrittlichen Technologie und ihre permanente Perfektionierung anderswo. Führt uns die europäische Fokussierung auf Umweltschutz und CO2 in eine wirtschaftliche Wüste?
Genf, den 23. April 2005